Donnerstag, 27. Februar 2014

Zagreb


9. September 2013

Ich saß in Zagreb und es regnete elendig. Über den Bergen hatte es sich eine Wolkenfront bequem gemacht. Sie saß dort noch gemütlicher als ich und hatte nicht vor, sich in irgendeine Richtung zu bewegen. Sie regnete sich ab. Regte sich ab. Und erregte Gemüter. Explizit meines.

So ging ich durch die mir mittlerweile bekannten Straßen und musste doch immer wieder in überdachten Innenhöfen Rast machen. So sehr regnete es. Man machte mich bewegungsunfähig. Grässlich. Ich setzte mich in ein Bistro und schaute aus dem Fenster.

Kroatische Mädchen, vielleicht waren sie dreizehn oder vierzehn, machten Schularbeiten und streckten ihre langen dünnen Beinen an der Fensterfront aus. Angebot & Nachfrage. Ihre Finger tippten gewöhnt auf den Bildschirmen ihrer Smartphones herum. Sie aßen Salat und starrten in den Regen hinaus. Unterhielten sich gelangweilt-lässig über Themen, die ich nicht verstand.
Mit einem Zahnstocher unter strenger Handspiegelbeobachtung säuberte sich eine von ihnen die Backenzahnzwischenräume. Die Prozedur der semiprofessionellen Zahnreinigung dauerte sicherlich fünf Minuten. Sie spitzte die Lippen, gab Küsschenlaute von sich, während sie wieder ihr Handy anblickte. Sie war sehr aufdringlich in ihren Bewegungen, das machte sie von Anfang an unsympathisch. Ihre Fingernägel waren weiß lackiert, die ihrer Sitznachbarin auch. Nach dem Salat folgten Burger, die sie sich in ihre Köpfe hinein drückten.

Ich bildete mir zum ersten Mal auf dieser Reise ein, in fremden Gesichtern bekannte Personen zu erkennen. Ich wollte hier niemandem begegnen. Vielleicht war es das. Ich hatte den Gedanken an wirklich andere Menschen vergessen.
Der Regen war zäh.

Dienstag, 25. Februar 2014

Budapest




29. August 2013

Budapest offenbarte sich mir heute Nachmittag. Alles im Umbruch, hundert Baustellen. Mein Herz schlägt in Osteuropa dann doch immer ein bisschen aus dem Takt, höher und wilder, wie die Städte. Schon am Bahnhof: Grelle Leuchtreklame, Gurken verkaufende Mütterchen, Schurken, die mein Geld tauschen wollen.
Ein alter Trolleybus, in den ich steige, ohne Fahrkarte. Der Busfahrer kann mir keine verkaufen, und ein englischsprechender huschiger Typ erklärt mir, dass bestimmt eh keiner zum kontrollieren kommt. Trotzdem versucht er noch mir ein Ticket zu verkaufen, überteuert natürlich. An einer verabredeten Haltestelle steige ich aus. Die Sonne scheint, es ist heiß. Auf den Bänken sitzen Klabautermänner und Kobolde.

Ich stehe eine Weile im Budapester Sommer herum, ehe Murat am Straßenhorizont auftaucht. Er trägt eine kurze, weite Jogginghose und Nikes, schultert unaufgefordert meinen Rucksack und steigt mit mir in den nächstbesten Bus. Zumindest kommt es mir so vor. Wir fahren durch die Stadt, steigen aus, laufen weiter, und irgendwann finde ich mich in einem russischen Geschäft wieder, eine komische Mischung aus Gemüseladen, Kiosk und Souvenirshop.
Murat bestellt ein Taxi. Wir warten draußen und ich stelle Fragen und Murat erzählt ein bisschen. Geboren in Turkmenistan, spricht Russisch, Türkisch, Persisch und Englisch, hat in Istanbul gelebt, zuletzt in Kiev, und nun eben Budapest.

Eine Taxifahrt, weitere hundert umfahrene Baustellen, und die halbe Stadt später, lade ich mein Gepäck ab. Murat nimmt eine angebrochene Flasche Wein in seine rechte Hand, und so schlendern wir durch Nachbarschaft und Nachmittagshitze. Alberne Touristenfotos vor Gebäuden und Skulpturen. Nudeln für 1000 Forinth. Später laufen wir an der Donau entlang, und weil ich schon zuvor beim Überqueren der Straßen einen unbeholfenen Eindruck gemacht haben muss, nimmt er nun meine Hand, wie die eines Kindes, auf das man aufpassen muss, wenn man die Straßenseite wechselt. Zusammen klettern wir Mauern hoch, weil wieder irgendeine Baustelle vor uns wartet, und steigen über Straßenbahngleise, während über Budapest die Sonne untergeht.
"This is a great adventure", sage ich zu Murat. Und der grinst mich an.

Sonntag, 23. Februar 2014

Busfahren I

Irgendwann habe ich dir von meinen Albträumen erzählt. Ich bin an einem mir unbekannten Ort. Ich weiß nicht, wie ich dorthin gekommen bin. Und wie ich wieder verschwinde. Meistens wird es gerade dunkel. Ich bin allein. Ich finde eine Haltestelle. Für Bus oder Bahn. Aber der letzte Bus ist bereits gefahren, und die letzte Bahn habe ich verpasst. Und dann, dann bin ich verloren.

Du hast mir zugehört, das Lenkrad in der linken Hand, die rechte Hand auf die Kasse gestützt. Und nach einer Weile hast du gesagt: "Wenn du nochmal so einen Traum hast, dann komme ich einfach mit meinem Bus gefahren und hole dich ab". Seitdem sind die Albträume verschwunden.

Die Nacht in der wir uns kennen lernten, war kalt. Ich stand allein an der Haltestelle am Rande der Stadt neben dem riesigen Parkplatz. Du kamst mit dem Bus gefahren, ich stieg ein, zeigte dir meine Karte. Ich weiß nicht mehr, was du gesagt hast, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es irgendwas mit "Mädchen" und "allein in der Kälte rumstehen" war. Ich hatte diese Mütze mit Gesicht auf, und sah sicherlich ein bisschen sympathisch-beknackt aus.

Wir unterhielten uns. Und so wurde aus einer geplanten Fahrt zum ZOB eine weitere Runde durch die nächtliche Stadt. Und noch eine. Und noch eine.
Das ist zwei Jahre her.

Heute stehe ich neben dir, und frage dich wie selbstverständlich, ob du etwas zu trinken dabei hast. "Klar", sagst du, und drückst mir eine 1,5-Liter Plastikflasche in die Hand. Ich entziffere die kyrillische Schrift und lese langsam den Namen dieser russischen Limonade vor. Die Flasche zischt beim ersten Öffnen und ich nehme einige durstige Schlucke. "Das ist ja Energy!", sage ich irritiert. Und du lachst. Dein Grinsen. Deine rechte Hand auf der Kasse. Dein Goldkettchen. Die oberen Hemdknöpfe, die du eigentlich nicht geöffnet haben solltest. Dein dicker Schädel. Deine Glatze. Deine blauen Augen. Deine Geschäfte. Deine Witze. Dein Straßendeutsch, wie du es nennst. Und deine Geschichten.

Wir fahren durch die Nacht, einer festen Linie folgend. Leute steigen ein, Leute steigen aus. Du bringst sie in deinem Bus von A nach B. Und von B wieder zurück nach A. All die Gesichter dieser Stadt, sie ziehen an dir vorbei. Flüchtige Mitreisende. Und auf dem Weg verlieren sie ihren Rucksack, schlafen ein, vergessen auf den "Stop"-Knopf zu drücken, schreien durch den Bus, kotzen auf den Boden. Irgendwas ist immer.

Du sammelst die Geschichten, und wenn wir uns sehen, dann erzählst du mir von den Menschen. Manchmal glaube ich, dass du einer der wenigen bist, die das Leben verstanden haben. Die sich irgendeinen Sinn aus dem ganzen Hier und Jetzt gezogen haben. Und den Mut haben, glücklich sein zu wollen.

Wenn ich vom nächtlichen Busfahren schwärme, dann ist das nicht nur mein Kopf, der an der Fensterscheibe klebt. Dann ist das nicht nur die Musik, die mir in die Ohren faucht oder säuselt. Dann sind das nicht nur die Lichter der Stadt, die funkelnd vorbei ziehen. Wenn ich vom nächtlichen Busfahren schwärme, dann bist du am Steuer und ich daneben.




Samstag, 22. Februar 2014

Anfang



Ein Anfang ist ein Schritt. Er ist leise. Oder laut. Stampfend oder zart. Bestimmt oder zögerlich. Klein oder groß. Wahllos oder zielgerichtet. Ein Schubser ins kalte Wasser. Oder der Sprung ins Meer. Ein Anfang geht schnell. Zwei, drei Sekunden. Oder er braucht Zeit. Eine halbe Ewigkeit. Anfangen kann einfach sein. Oder verdammt schwer. Manchmal erfordert es Mut, manchmal ist nichts leichter als das. Manchmal dreht man sich dabei im Kreis. Manchmal kann man es kaum erwarten, endlich geradeaus zu fahren.

Ein Anfang ist ein Entschluss. Ein Fingerzeig. Ein Lächeln. Ein klickender Anschnallgurt. Ein Biss. Ein Schlüssel. Ein Geräusch. Ein Regentropfen. Eine Bewegung. Deine Hand. Ein Zufall. Ein Bruch. Ein Flicken. Ein erstes Mal. Oder ein allerletztes. Ein Flugzeug. Eine Taste. Eine Hoffnung. Ein Wunsch. Ein Entschluss.

Und das hier. Das hier ist ein Anfang.
Und zwar meiner.