Freitag, 20. Juni 2014

Schwarze Katze von links.


Zwischen meine Zehe habe ich ein Gänseblümchen geklemmt.
Ich nehme das Schicksal
in den Schwitzkasten.
Und reiße ihm sadistisch
die Haare aus.
Bedächtig zupfe ich die Blütenblätter,
während ich mein Mantra rezitiere.
Fortuna kniet
fast kahlköpfig zu meinen Füßen
und lacht höhnisch über das Orakel.
Der letzte Satz wandert über meine Lippen.
Und die nackte Narbe
verkündet schadenfroh:
"Er liebt mich nicht".

Donnerstag, 19. Juni 2014

Blau


Viele Menschen haben im Flugzeug die Angewohnheit, Tomatensaft zu trinken. Ich hatte schon immer die Angewohnheit, in Flugzeugen zu weinen. Es ist kein ängstliches Schluchzen, kein aufgeregtes Heulen. Ich weine nicht, weil ich Heim- oder Fernweh habe, nicht weil ich Flugangst habe. Ich weine nicht aus Traurigkeit oder vor Glück, ich weine, weil ich überwältigt bin.

So auch diesmal. Das Flugzeug überquerte den Atlantik. Ich saß am Fenster, wenn ich hinaus schaute, war alles blau. Oben, unten, links, rechts. Blauer Himmel, blaues Wasser. Der Platz neben mir war frei, ich klappte das Tischchen herunter und stellte meinen Plastikbecher mit zuckersüßem Orangensaft darauf. Als die Stewardess später den Becher einsammelte, klappte mein Nebenmann, der am Gang saß, den Tisch sofort wieder hoch. Er hatte mittlerweile die dritte Miniaturweißweinflasche geleert und ich fragte mich, warum er sich dem Dusel hingab. Vielleicht hatte er Heim- oder Fernweh, vielleicht hatte er Flugangst, vielleicht war er zu traurig oder zu glücklich, oder es ging ihm wie mir, er war überwältigt. Ich wusste es nicht, ich hatte kein Interesse daran, es zu erfragen, wir sahen uns ja nicht einmal an, unsere einzige Kommunikation fand über das Auf-und-Zu-Klappen des Tischchens statt.

Und dann erblickte ich unter mir plötzlich Land. Das Land war merkwürdig braungrau und sah anders aus als jedes andere Land, das ich zuvor von oben gesehen hatte. Keine grünen Felder, die man ausmachen konnte, keine blauen Flüsse, keine grauen Städte. Ein brauner Farbklecks, der von einem dunkelblauen Tintenmeer gerahmt wurde.
Durch meine Kopfhörer purzelten Glockenspieltöne und unverständliche Worte in meine Ohren. Ich hatte dieses Lied jahrelang mit diesem Ort verbunden, der nun unter mir lag, den ich nie zuvor gesehen hatte, von dem ich aber jahrelang geträumt, fantasiert und geschwärmt hatte. Ich fühlte mich wie eine Dreizehnjährige, die ein Konzert von ihrer Lieblingsband anschauen darf und später in den Backstagebereich eingeladen wird. Alles war zum Greifen nah, es war kein Traum mehr, es war real. Ich war überwältigt. Ich zitterte nicht, ich kreischte nicht, ich schaute nur begeistert auf die Welt, die sich vor mir eröffnete, während Sigur Rós weiterhin alles in mir zum Erklingen brachten.

Mein Sitznachbar starrte unbeweglich auf die Kopfstütze vor sich. Ich starrte aus dem Fenster. Und dann rollten die Tränen. Ganz langsam. Während gleichzeitig die Räder auf der Piste des Flughafens aufsetzten und genauso langsam zum Terminal rollten.

"Welcome to Iceland", sagte der Pilot.