Montag, 2. Februar 2015

Zwätzen Schleife


Straßenbahnen sind für mich Freud und Elend zugleich. Begegnen sie mir auf der Straße, nehme ich Reißaus, denn sie erscheinen mir unberechenbar, obwohl sie doch auf den ewigselben Gleisen rattern. Viel zu oft haben sie mich fast erwischt, viel zu oft haben sie mich zudringlich von der Straße geklingelt, viel zu oft konnte ich den rettenden Bahnsteig nur noch mit einem Hechtsprung erreichen.

Das Bild ändert sich, sobald sich die Türen vor mir öffnen und ich einen ganz eigenen Mikrokosmos betrete. In der Tram treffen sich die Menschen einer Stadt, sie müssen sich gegenüber sitzen, müssen, gerade zu den Stoßzeiten, ganz nah aneinander heran rücken und drängen einander ihre Telefongespräche in die Ohren oder ihr Mittagessen in die Nase.
Ich fahre gern mit der Straßenbahn, ich mag es, wie sie ein Netz durch die Stadt spannt und Menschen und Orte miteinander verbindet.

Es ist ein perfekter Sonntag, trist und grau. Man ahnt, dass es jederzeit regnen könnte. Wenn ich bei dir bin, dann fahren wir zusammen mit der Straßenbahn. Wir haben uns den besten Zeitpunkt ausgesucht, nehmen die Tram in Richtung "Zwätzen Schleife". Einige Leute fahren mit uns in den Norden Stadt, wir lassen das Zentrum hinter uns, die Häuser werden kleiner und die Hügel größer. Im Sommer ist es hier sicher ganz idyllisch, denke ich. Im Winter ist es ziemlich trübselig, stelle ich fest.

Er starrt uns an. Er macht das seit einer gefühlten halben Minute, wir haben aus dem Fenster geschaut, uns nichts anmerken lassen und haben einfach weiter geplappert. Ich habe versucht, seinen Augen auszuweichen, aber dann treffen sich unsere Blicke und er fängt an laut, rau und überzogen zu lachen. Unweigerlich muss ich grinsen.
Er hat einen Borstenschnitt, wilden, vergilbten Bartwuchs, sein Gesicht ähnelt dem eines Walrosses. An seinen Lippen klebt ein Tetrapack Rotwein, er nimmt einen Schluck und erzählt mit tiefstem sächsischen Dialekt, dass er einst mit der Fremdenlegion in Hongkong war. "Eine harte Zeit", sagt er, und ich bin mir nicht sicher, ob er das gerade sich selbst oder uns weismachen will.
Dann schaut er uns an, erklärt, dass er eigentlich Franzose sei. "Wenn du den Arsch voll Tränen hast, musst du trotzdem lachen", zitiert er salopp ein französisches Sprichwort, zumindest gibt er vor, dass das ein französisches Sprichwort ist.

Die Bahn tuckert weiterhin unbeirrt die Berge hinauf, während wir angestrengt aus dem Fenster starren und uns unterhalten. Zwischendurch werden wir immer wieder von einem bollernden Lachen unterbrochen. Er sieht mich eindringlich an und sagt: "Man nennt mich den schwarzen Panther, manche Menschen meinen, ich hätte keine Seele".

Glücklicherweise erreicht die Bahn in diesem Moment die Endstation und bevor es uns zu gruselig wird, hüpfen wir schnell aus der Tram, rennen den Berg hinauf und drehen uns nicht um. Der Regen landet fein auf unseren Gesichtern, und ich muss grinsen, weil die Straßenbahn uns nicht nur an abenteuerliche Orte bringt, sondern uns genauso abenteuerliche Menschen vorstellt.

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