Sonntag, 23. Februar 2014

Busfahren I

Irgendwann habe ich dir von meinen Albträumen erzählt. Ich bin an einem mir unbekannten Ort. Ich weiß nicht, wie ich dorthin gekommen bin. Und wie ich wieder verschwinde. Meistens wird es gerade dunkel. Ich bin allein. Ich finde eine Haltestelle. Für Bus oder Bahn. Aber der letzte Bus ist bereits gefahren, und die letzte Bahn habe ich verpasst. Und dann, dann bin ich verloren.

Du hast mir zugehört, das Lenkrad in der linken Hand, die rechte Hand auf die Kasse gestützt. Und nach einer Weile hast du gesagt: "Wenn du nochmal so einen Traum hast, dann komme ich einfach mit meinem Bus gefahren und hole dich ab". Seitdem sind die Albträume verschwunden.

Die Nacht in der wir uns kennen lernten, war kalt. Ich stand allein an der Haltestelle am Rande der Stadt neben dem riesigen Parkplatz. Du kamst mit dem Bus gefahren, ich stieg ein, zeigte dir meine Karte. Ich weiß nicht mehr, was du gesagt hast, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es irgendwas mit "Mädchen" und "allein in der Kälte rumstehen" war. Ich hatte diese Mütze mit Gesicht auf, und sah sicherlich ein bisschen sympathisch-beknackt aus.

Wir unterhielten uns. Und so wurde aus einer geplanten Fahrt zum ZOB eine weitere Runde durch die nächtliche Stadt. Und noch eine. Und noch eine.
Das ist zwei Jahre her.

Heute stehe ich neben dir, und frage dich wie selbstverständlich, ob du etwas zu trinken dabei hast. "Klar", sagst du, und drückst mir eine 1,5-Liter Plastikflasche in die Hand. Ich entziffere die kyrillische Schrift und lese langsam den Namen dieser russischen Limonade vor. Die Flasche zischt beim ersten Öffnen und ich nehme einige durstige Schlucke. "Das ist ja Energy!", sage ich irritiert. Und du lachst. Dein Grinsen. Deine rechte Hand auf der Kasse. Dein Goldkettchen. Die oberen Hemdknöpfe, die du eigentlich nicht geöffnet haben solltest. Dein dicker Schädel. Deine Glatze. Deine blauen Augen. Deine Geschäfte. Deine Witze. Dein Straßendeutsch, wie du es nennst. Und deine Geschichten.

Wir fahren durch die Nacht, einer festen Linie folgend. Leute steigen ein, Leute steigen aus. Du bringst sie in deinem Bus von A nach B. Und von B wieder zurück nach A. All die Gesichter dieser Stadt, sie ziehen an dir vorbei. Flüchtige Mitreisende. Und auf dem Weg verlieren sie ihren Rucksack, schlafen ein, vergessen auf den "Stop"-Knopf zu drücken, schreien durch den Bus, kotzen auf den Boden. Irgendwas ist immer.

Du sammelst die Geschichten, und wenn wir uns sehen, dann erzählst du mir von den Menschen. Manchmal glaube ich, dass du einer der wenigen bist, die das Leben verstanden haben. Die sich irgendeinen Sinn aus dem ganzen Hier und Jetzt gezogen haben. Und den Mut haben, glücklich sein zu wollen.

Wenn ich vom nächtlichen Busfahren schwärme, dann ist das nicht nur mein Kopf, der an der Fensterscheibe klebt. Dann ist das nicht nur die Musik, die mir in die Ohren faucht oder säuselt. Dann sind das nicht nur die Lichter der Stadt, die funkelnd vorbei ziehen. Wenn ich vom nächtlichen Busfahren schwärme, dann bist du am Steuer und ich daneben.




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