Sonntag, 23. März 2014

Busfahren II

Ich habe meinen Lieblingsplatz im Bus. So, wie andere Leute ihren Lieblingsplatz im Kino oder Theater haben. Ich sitze gern hinten rechts, so kann ich alles beobachten. Denn man weiß nie, in welchem Film man nun landet, wer am Lenkrad Regie führt und durch beabsichtigt heftiges Bremsen oder rasante Kurven die Dynamik des Stücks vorgibt. Zwischen Zuschauern und Schauspielern kann man nicht unterscheiden. Aber jederzeit kann man den Stop-Knopf drücken und einfach aussteigen, wenn man keine Lust mehr hat.

Der Abend ist ruhig. Mein Kopf lehnt an der Scheibe, ich schaue nach draußen und beobachte die vorbei ziehenden Lichter der Stadt. Männlicher Nachwuchs mal vier steigt ein und setzt sich um mich herum - das Stück beginnt sofort: Sie reißen sich die Kleider vom Leib und präsentieren einander ihre verzweifelt erkämpften Muskeln an den noch nicht ausgewachsenen dünnen Ärmchen.
Jeder ist einseitig am Ohr verkabelt, es mutet professionell an. Während sie also nervös und halb entblättert auf ihren Sitzen umher rutschen, endet die erste Szene.

Szene zwei beginnt mit wilden Gesten und Mündern, die sich auf und zu bewegen. Die geformten Laute kann ich nicht als Worte verstehen, aber sie werden durch wilde Handbewegungen unterstrichen, sodass ich annehme, dass sie sich auf Gebärdensprache unterhalten. Ich will schon begeistert applaudieren, da merke ich, dass ich mich irre.
Jeder versucht mühevoll, die Musik, die in ihre Ohren hinein wummert, möglichst originalgetreu wiederzugeben. Das Scheitern macht einen wichtigen Bestandteil dieser Aufführung aus, und ich frage mich, ob sie ihre Handlungen absichtlich so überziehen um den Zuschauer zu belustigen. Jedoch sind sie so ernsthaft bei der Sache, dass ich diesen Gedanken verwerfe.

In Szene drei wird eine lange Zeit geschwiegen. Dann holt einer Lederhandschuhe hervor und bindet sie sich mit einem eigens daran genähten Klettverschluss zu. Während dessen wirft sein Gegenüber immer wieder verwirrte Wortfragmente ein, reißt die Augen dabei weit auf und scheint seinen soufflierten Text bereits beim Aussprechen wieder vergessen zu haben.

Eine erstaunliche Wendung tritt in Szene vier ein: Der Lederhandschuhboy zieht ein Butterflymesser aus der Jackentasche hervor, traut sich jedoch nicht seine einstudierte Messerakrobatik dem erlesenen Publikum in voller Performance zu präsentieren. Es bleibt bei einer heimlichen Handbewegung, dem unachtsamen Zuschauer beinahe verborgen.

Enttäuscht drücke ich den Stop-Knopf. Als ich gehe, lächle ich dem Sängerknaben aufmunternd zu, doch er scheint mit meinem Feedback bereits überfordert. Dann schließen sich die Bustürvorhänge hinter mir, während das Ensemble weiter in die Nacht hinaus fährt und für den großen Auftritt probt.

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