Donnerstag, 8. Mai 2014

Katzen in St. Petersburg



Beim Aufräumen entdeckte ich die CD. Ich hatte sie nie gehört und so rutschte sie wohl mit der Zeit immer weiter nach hinten in den Schrank hinein. Als ich sie unter einer Staubdecke hervor zog, starrte ich für einen Augenblick verwirrt auf die Plastikhülle. Dann kam die Erinnerung wieder.

Ich saß in Sankt Petersburg in einem kleinen Restaurant in einer Seitenstraße des Newski Prospekts und aß einen Salat. Der Preis entsprach dem Geld, das eine Person in den Außenbezirken der Stadt für eine Woche zum Leben hatte.
Ich war beinahe allein in dem Restaurant, ich hatte einen Platz direkt am Fenster und konnte die vorbei ziehenden Menschen beobachten. Es dämmerte leicht, und ihre Silhouetten waren nicht mehr klar umrissen. Die Geister der Stadt huschten vorbei.

Im Restaurant, so hatte es zumindest den Anschein, lebte eine Katze. Sie saß neben mir am Tisch und zwinkerte mir unablässig zu. Noch nie zuvor war mir eine zwinkernde Katze begegnet, aber mir war auch noch nie eine Katze im Restaurant begegnet. Also nahm ich die Begebenheit einfach an und überlegte noch, ob sie vielleicht ein Augenleiden hätte.
Ein leises Klavierklimpern war zu hören, und ich konnte den Barkeeper sehen, wie er langsam und automatisiert Gläser abtrocknete. Die Katze verschwand hin und wieder, drehte ihre Kreise durch das Restaurant und setzte sich dann doch wieder zu mir und zwinkerte.

Ich hatte meinen Salat aufgegessen und legte das Besteck zur Seite. Dann trank ich den letzten Rest Jasmintee aus meiner Tasse. Der Kellner, der mir zuvor noch das Essen gebracht hatte, war verschwunden. Also ging ich zum Barmann und sagte ihm auf rudimentärem Russisch, dass ich gern bezahlen möchte. Er antwortete, dass gleich jemand kommen würde, also setzte ich mich an die Bar und wartete.
Eine Kellnerin und ein dünner Mann mit beigefarbenem Poloshirt, olivgrünen Sakko und einem rausgewachsenen Haarschnitt kamen zum Bartresen. Die Kellnerin lächelte freundlich-entschuldigend und kassierte. Der Mann stellte sich zu mir und sich vor. "Pavel" war sein Name, er drückte meine Hand, lächelte und gab den Blick auf seine gelben Zähne frei. Er sprach schnell und gab sich keine Mühe, langsamer zu sprechen, selbst als er bemerkte, dass ich mit meinem Russisch nicht hinterher kam.

Er erzählte, dass er Pianist in dieser Bar sei. Ich lauschte und stellte fest, dass die Musik wirklich verstummt war. Er griff in die Innentasche seines Sakkos und drückte mir eine CD in die Hand. Die sei von seiner Band. Im Gegenzug fragte er nach meiner Handynummer. Ich schüttelte lächelnd den Kopf und versuchte mich schnell zu verabschieden.
Pavel nahm nochmals meine Hand und sagte: "Do swidanja". Dabei zwinkerte er. Ich erkannte einen fadenscheinigen Zusammenhang und hatte plötzlich ein unangenehmes Gefühl im Bauch.

Als ich ging, blickte ich ein letztes Mal ins Fenster. Dort saß die Katze und schaute mir nach.

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