Sonntag, 14. Mai 2017

Piano



Du hast vor mehr als zwei Jahren einen Nachruf für mich geschrieben. Und jeder, der ihn sucht, wird ihn finden können. 

Es gibt Tage, die verbringe ich mit dir. Ich sehe dich. Ich höre dich. Ohne, dass du da bist. Ich weiß, dass du den roten Nagellack auf meinen Zehenspitzen schätzen würdest. Ja, vielleicht sogar begehrenswert findest. Und ich verrate es dir gern: Heute ist der erste Tag, an dem ich keine Socken trage. Ich laufe mit dieser Schuhgröße 36 barfuß über die Dielen meiner Wohnung. Und keiner hört meine Schritte.

Ich weiß nicht, ob es Zufall ist. Aber letzte Woche habe ich altes Schuhwerk in einen blauen Müllbeutel gesteckt. In einer Zeitschrift habe ich gelesen, dass man sich trennen soll. Sich für die Erinnerungen bedanken. Ich habe mich bedankt. Für alles, was dreckig geworden ist. Kaputt. Unbequem. Austauschbar.

Meine Mutter sagt mir am Telefon, dass sie stolz auf mich ist. In mein Heft schreibe ich: "Das Einzige, was von Wert ist, sind die Geschichten, die ich nicht erzählt habe". Ich war immer die, die dreimal lächelt. Und das vierte Mal zu viel. Ich trage aserbaidschanisches Parfum und Strickjacken, die aussehen wie Gardinen. Ich laufe barfuß durch meine Wohnung.

Mein Name ist Emily Horrowitz.