Montag, 28. Juli 2014

Es ist okay



Es ist okay, dass du wegziehst. Ehrlich. Ich werde dich nicht vermissen, denn eigentlich kenne ich dich gar nicht. Und das war jetzt gelogen, zumindest zur Hälfte. Oder eben die "halbe Wahrheit", wie man so sagt. Klingt schließlich besser als "Lüge". Du darfst dir überlegen, was du glaubst.

Es ist okay, dass du Berlin bald dein Zuhause nennen wirst. Die Stadt passt viel besser zu dir und deiner vorlauten Art, deinen wilden roten Locken und deinem Silberblick. Du wirst nicht mehr über Kopfsteinpflaster stolpern müssen, denn dort kannst du die ebenmäßigen Bürgersteige zu deinen persönlichen Laufstegen machen. Ich kann mir gut vorstellen, wie du jeden Abend in einer anderen Bar sitzt, die Zigarette zwischen deinen Himbeerlippen und dein kratziges Lachen, mit dem du alle Köpfe ganz automatisch in deine Richtung verdrehst.

Es ist okay, dass ich dich nicht mehr sehen werde. Obwohl du gesagt hast, dass ich mich gern melden kann, wenn ich mal in der Hauptstadt bin. Selbst wenn wir uns treffen würden, wir hätten uns nichts zu sagen. Das war doch schon immer so, fast jeden morgen an der Bushaltestelle. Ich war zu schüchtern um meine Kopfhörer abzunehmen und mit dir über das Wetter zu reden, und du warst zu morgenmuffelig und hast dir beinahe bockig Croissantfetzen in den Mund gestopft. Also blieb es nur bei einem Nicken, einem vorsichtigen Lächeln. Und dann kam der Bus und nahm uns mit. Woanders hin.

Es ist okay, dass wir uns in den letzten drei Jahren vielleicht zweihandvollmal miteinander unterhalten haben. So richtig, meine ich. Immer traf ich dich zufällig in irgendwelchen Kneipen. Du warst dann redseliger, ziemlich charmant sogar, vermutlich beschwippst, ich bin mir nicht sicher. Aber wir grüßten uns und du nahmst mich bei der Hand und zogst mich zu dir. Und dann stelltest du mich namentlich deinem Bekanntenkreis aus stets neuen Gesichtern vor, und ich war ein bisschen stolz darauf, dass du dir merken konntest, wer ich war. Nicht wer ich bin. Und ich verfälschte absichtlich meine Stimme und versuchte möglichst scharfsinnig-witzige Anekdoten von mir zu geben, weil ich unsicher war und du so anmutig in deiner betörenden Borniertheit.

Es ist okay, dass du gehst. Wirklich. Aber es ist schade, dass du niemals wissen wirst, wie sehr ich dich eigentlich mochte. Obwohl ich dich nicht kannte. Und jetzt darfst du nochmal von vorn lesen, denn dann erfährst du immerhin die Wahrheit.

Donnerstag, 17. Juli 2014

Übermut und Tunichtgut



In der letzten Woche haben zwei Personen, ganz unabhängig voneinander, bemerkt, dass sich an mir etwas verändert hat. Es ist nur eine Kleinigkeit. Ein winziges Detail. Aber die Bedeutung ist enorm.

Meine Füße haben bereits vieles gesehen, mussten schon einiges durchmachen, haben tagelang in verschwitzten ungemütlichen Turnschuhen gesteckt und hatten nach durchtanzten Highheelnächten einen gewaltigen Kater. Dafür wurden sie aber stets belohnt: Pariser Pelouse, Atlantikwasser, Küsse auf die kleinen Zehe.
"Füßchen Übermut und Füßchen Tunichtgut", so hatte meine Mutter meine Füße getauft, als sie mir morgens die Socken anzog. Daraus wurde ein Ritual und ich tippelte, hoppste und trampelte mit diesen, ihrem Ruf voraus eilenden, Füßen durch die Welt.  Sie waren kaltblütig, träumten viel zu oft, verloren das Gleichgewicht und ließen mich unangenehm über Gehwegplatten stolpern. Immer wieder machten sie mit all ihrem Übermut und Tunichtgut auf sich aufmerksam, damit ich ihnen mehr Beachtung entgegen brachte.

Siebenmeilenstiefel gibt es nicht in Schuhgröße 36. Aber das war meinen Füßen egal, sie wollten trotzdem laufen, klettern und von Klippen baumeln. Und ich tat ihnen den Gefallen, denn sie brachten mich zuverlässig an Orte und zu Personen, die mein Herz höher schlagen ließen. Dabei ist mein Herz so weit von meinen Füßen entfernt, mindestens 140 Zentimeter. Das ist mehr als meine Schrittlänge.

Mein Hautarzt hat einmal gesagt, dass es gefährlich ist, wenn Leberflecke dunkler werden, wenn sie größer werden, oder wenn sie ihre Form verändern. Seit jeher habe ich diesen Leberfleck auf meinem rechten Fuß. Ich finde, er passt da ganz gut hin. Irgendwo unter dem Ringzeh. Fast so schön wie ein kleines Muttermal über der Lippe.
Dieser Leberfleck ist eine Kleinigkeit, er fällt nicht weiter auf, es ist kein juckender Mückenstich, keine geschichtsträchtige Narbe. Mein Ringzehleberfleck war schon immer einer von vielen. Bis er sich verändert hatte. Und ich hatte es nicht bemerkt. Ich musste erst von anderen darauf aufmerksam gemacht werden, dass er kein normaler Leberfleck mehr war. Er hatte seine Form verändert. Aus einem kreisrunden Punkt ist ein winziges Herz geworden. 

Mein Herz hat sich zu meinen Füßen gesellt. Zu Übermut und Tunichtgut. Ich glaube, die beiden brauchen noch ein bisschen Zeit um sich daran zu gewöhnen.

Sonntag, 6. Juli 2014

Sommergewitter


Du hast mal gesagt, dass du den Regen magst. Weil es immer den Anschein hat, als würde er die Welt wegspülen wollen. Wahrscheinlich waren das gar nicht deine Worte, sondern ein geklautes Zitat, das du als dein eigenes Gefühl ausgegeben hast.

Ich sitze an meinem Fenster und der Regen fällt vom Himmel runter. Es muss ein gewaltiger Wolkenrohrbruch sein. Ich frage mich, ob du jetzt auch gerade nach draußen schaust und die Luft einatmest, die gerade von der Sommerhitze rein gewaschen wird. Es gibt keinen Weichspüler namens Sommerregen, vielleicht ist das eine Marktlücke.

Wenn es im Sommer regnet, muss ich an dich denken. Diesen Gedanken habe ich geklaut, und ich frage mich, wie viele Leute an dich denken, wenn es regnet. Mit wie vielen Leuten du schon still am Fenster gestanden hast und den Regen beobachtet hast. Das Prinzip ist immer gleich. Du atmest ein. Dann tust du so, als würdest du nachdenken. Du legst deinen schönen Kopf zur Seite. Und schließlich säuselst du: "Ich mag den Regen. Ich glaube, er könnte die Welt wegspülen, wenn er wollte."

Manchmal frage ich mich, an wen du denkst, wenn es regnet. Manchmal frage ich mich, ob du weißt, dass du ein Dieb bist.