Sonntag, 30. November 2014

Rumänien



Du hast immer gesagt, dass wir eines Tages zusammen nach Rumänien fahren. Zu deinen Verwandten auf's Land. Und ich habe mir vorgestellt, wie das wäre. Zusammen auf dem Land bei deinen Verwandten, die in kleinen schrägen Häusern wohnen, die aussehen wie real gewordene Kinderzeichnungen. Mit dicken Schornsteinen, schrumpeligen Dachziegeln, kleinen Fenstern mit geblümten Gardinen und klapperigen Holztüren. Und in meinen Gedanken waren die Häuser umzingelt von Feldern und Gemüsebeeten, alten Obstbäumen, schmalen Trampelpfaden und einer schotterigen Dorfstraße.

Wir waren Teenager. Du hattest Kummer, eine Schwäche für Rotwein und verrauchte Kneipen. Ich hatte Langeweile und eine Schwäche für dich. Du erzähltest mir Geschichten von dem süßlichen Duft der sonnenreifen Weintrauben und den weichen Lippen rumänischer Frauen. Ich sah uns bereits in deinem kleinen roten Auto sitzen, du am Steuer, ich auf dem Beifahrersitz. Zusammen auf dem Weg gen Osten. Im Kofferraum unsere Schlafsäcke, die Fenster hinunter gekurbelt, meine Hand im Fahrtwind, eine Gauloise in deinem Mund und Chopin, den du so gern hattest, klimperte in unseren Ohren. Wir würden nicht reden, die Welt würde vorbei ziehen und irgendwann wären wir angekommen. Auf dem rumänischem Hügel. Deine Verwandten wären mit Willkommensparolen aus ihren Häusern gestürmt, hätten uns mit Tomatensalat und Hähnchenschenkeln gemästet und vielleicht wären wir nie wieder den Berg hinunter gefahren. Vielleicht wären wir für immer geblieben. Vielleicht wären wir in eines der Häuser gezogen. Vielleicht hätte ich uns morgens starken schwarzen Kaffee gekocht. Vielleicht hätten wir ein Kind bekommen oder sieben.

Tatsächlich sind wir nie nach Rumänien gefahren. Der Gedanke ist aber immer noch in meinem Kopf. Er kriecht dort herum, windet sich wie ein Wurm durch die dunkle Erde, und immer wenn es regnet, dann kommt er kurz zum Vorschein, schnappt nach Luft und verschwindet wieder. Man kann nicht von einem Erdbeben sprechen, die Erschütterung ist so fein, dass ich sie kaum bemerke, aber manchmal denke ich dann an dich, deinen Biss in meinen Handrücken und die kleinen Zettelchen, die du mir unauffällig in der Schule zugesteckt hast.
Ich weiß nicht, was du jetzt machst, ob du schon an Wein und Wodka ertrunken bist, oder ob du mittlerweile alle Werke Bukowskis auswendig kannst. Und eigentlich ist es mir auch egal. Aber wenn du jetzt gerade in einem rumänischen Dorf sitzt, umringt von deinen sieben Kindern und jemand dir eine Tasse schwarzen Kaffee an den Schreibtisch bringt, an dem du deine Geschichten schreibst, dann nehme ich dir das übel. Denn dieser Plan gehörte uns.

Samstag, 15. November 2014

Sommer in Berlin




Ich hatte den Gedanken einige Tage mit mir herumgeschleppt. Wie einen Pfirsich, den man beim Einkaufen unachtsam als erstes in die Tasche steckt und danach unter unzähligen anderen Produkten begräbt. Ich lief mit dem Gedanken durch die Stadt, vergaß ihn in der Tasche, hatte ihn beim Auspacken übersehen. 

Und als ich einige Tage später zur Tasche griff, entdeckte ich den Gedanken, halb zerquetscht, halb vergammelt. Sein süßlich-saurer Geruch stach mir in die Nase und ich ekelte mich davor, die überreifen Reste abzukratzen. Der Gedanke hatte unbemerkt die Tasche verfärbt und klebte nun am Innenfutter, selbst die Waschmaschine ließ die Spuren nicht verschwinden.

Von jetzt an begleitete mich der Gedankenfleck, er war hässlich und zeugte von meiner Unbedarftheit, aber ich konnte mich nicht von ihm trennen, weil ich den Pfirsich doch eigentlich für dich gekauft hatte.